Was Kinderpsychiater Winterhoff Vorgeworfen Wird


Heute beginnt der Prozess gegen den bekannten Kinderpsychiater Michael Winterhoff. Ihm wird gefährliche Körperverletzung durch die Gabe von Medikamenten vorgeworfen. Im Fokus steht dabei ein Neuroleptikum.

Michael Winterhoff, einst gefeierter Kinderpsychiater, muss sich ab heute vor dem Landgericht Bonn verantworten. Die Vorwürfe gegen ihn sind gravierend: In 36 Fällen soll er laut Anklage gefährliche Körperverletzung an Kindern und Jugendlichen durch die Gabe von Medikamenten begangen haben. WDR und Süddeutsche Zeitung hatten 2021 aufgedeckt, dass Winterhoff Kindern und Jugendlichen über Jahre sedierende Medikamente verschrieben hatte.

Winterhoff war wohl der bekannteste Kinderpsychiater Deutschlands. Für viele galt er als der “Star” der Kinder- und Jugendpsychiatrie: ein gefragter Gast in Talkshows, Podiumsdiskussionen und Vortragsreihen sowie ein erfolgreicher Bestsellerautor. Doch hinter der schillernden Fassade verbarg sich ein Netzwerk aus Einrichtungen der Jugendhilfe, das dem Arzt bis 2021 ermöglichte, ein mutmaßliches System zu etablieren, das auf fragwürdigen Diagnosen und massenhaftem Einsatz von Psychopharmaka beruhte.

Pipamperon und die Folgen

Vor allem das Medikament Pipamperon hat Winterhoff verordnet. Die Betroffenen dieses Systems waren häufig Heimkinder, denen er ab dem Alter von drei Jahren das Neuroleptikum verordnete. Es wurde laut Aussage einer Erzieherin, die dem WDR vorliegt, selbst Kleinkindern in der flüssigen Form verabreicht.  

Das Medikament ist zugelassen für Schlafstörungen bei älteren Patienten und bei psychomotorischen Erregungszuständen. Laut der Ärztekammer Nordrhein gibt es nur begrenzte Studien zur Anwendung bei Kindern. Trotzdem verschrieb Winterhoff es oft über Jahre.

In knapp 900 von 3.093 untersuchten Fällen wurde Pipamperon von ihm verordnet – das sind rund 29 Prozent. Betroffene berichten von gesundheitlichen Folgen. Winterhoff argumentierte, die Kinder seien so “besser erreichbar”. Er habe das Medikament nur bei eindeutiger Indikation verordnet, wenn Patienten sozial nicht mehr ansprechbar oder schulunfähig waren.

Ein Sozialpädagoge aus einer Bonner Einrichtung sagt in der ARD-Dokuserie “Der Kinderpsychiater”: “Das war ein Experiment am lebenden Modell.” Die Sonderpädagogin Sandra Rühl schildert, dass behandelte Heimkinder lethargisch wirkten. “Ein Kind schlief während des Unterrichts ein, ein anderes sagte: ‘Ich fühle mich so dumm im Kopf.'”

Antiparkinsonmittel gegen Nebenwirkungen

Hat Winterhoff von Nebenwirkungen gewusst? WDR-Recherchen zeigen Medikamentenpläne von 2011/12 aus Bonner Wohngruppen. Nebenwirkungen wie “verdrehte Augen”, “Schiefhaltung des Kopfes” oder “eine Zunge wie ein Kloß” wurden dokumentiert. Trotzdem wurde Pipamperon offenbar nicht abgesetzt. Stattdessen erhielten Kinder Akineton, ein Antiparkinsonmittel. 

Ein ehemaliger Mitarbeiter der Jugendhilfeeinrichtung Michaelshof Broxten Gmbh in Niedersachsen bestätigt, dass auch dort Kinder Antiparkinsonmittel bei Nebenwirkungen, vor allem Zuckungen des Kopfes und der Augen, bekamen. Ebenso berichtet eine Apothekerin aus der Region, dass Winterhoff Akineton mit Pipamperon kombinierte. Ihre Besorgnis veranlasste sie 2021, sich an die Apothekerkammer zu wenden. Im Dezember 2021 schloss Michael Winterhoff seine Bonner Praxis und beendete die Behandlung von Heimkindern.

Rund 800 Patienten pro Quartal

Michael Winterhoff behandelte etwa 800 Patienten pro Quartal. Der Bundesdurchschnitt der Kinderpsychiater lag Ende 2023 bei 298. Sorgeberechtigte und ehemalige Patienten berichten von “Behandlung im Minutentakt”. Dennoch gibt Winterhoff an, individualisierte Diagnosen gestellt zu haben. 

Michael Winterhoff bestreitet die Vorwürfe und erklärt, dass es keine Beweise für gesundheitliche Schäden durch seine Medikation gebe. Er habe Medikamente nur nach sorgfältiger ärztlicher Prüfung und Aufklärung der Sorgeberechtigten verordnet. Die Dosierung sei so gewählt worden, dass Nebenwirkungen vermieden würden. Zudem sei die Notwendigkeit der Weiterbehandlung regelmäßig überprüft worden. Er weist darauf hin, dass bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung gilt.

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