Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2021 stärkt die Regierung die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur. Für die Opposition gehen die neuen Befugnisse allerdings einen Schritt zu weit.
In dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2021 heißt es, dass die Regulierungsbehörde für Energienetze nicht ausreichend unabhängig von der Regierung sei.
Bisher war die Bundesnetzagentur, die auch für die Regulierung der Gas- und Telekommunikationsinfrastruktur zuständig ist, nicht in der Lage, die von den Stromnetzbetreibern erhobenen Netzentgelte unabhängig zu bestimmen, um ihre Investitionen zu kompensieren.
„Der Europäische Gerichtshof hat längst entschieden, dass diese Frage nicht im Bundestag, sondern auf europäischer Ebene zu klären ist“, erklärt Ingrid Nestle, Energieexpertin der Grünen.
Der Vorschlag zur Erweiterung der Befugnisse der Bundesnetzagentur, der in einem Änderungsantrag zum Energiegesetz enthalten ist, wurde mit den Stimmen der Ampel angenommen. Der Bundesrat wird das Gesetz im Dezember erörtern, eine Zustimmung ist nicht erforderlich.
Im Einklang mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs werden mit der vorgeschlagenen Änderung zwei Absätze gestrichen, die die Regulierungsbehörde an die Regierung gebunden haben. Dies bedeutet, dass Deutschland endlich in der Lage sein werde, die Gebühren für den Zugang zum Stromnetz zu ändern, erklärte Nestle am 10. November vor der Abstimmung im Parlament.
Infolgedessen wird die Behörde zu einem deutlich einflussreicheren Organ. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte dem Handelsblatt, dass die Regulierungsbehörde in Zukunft „viele Regelungen selbst erarbeiten muss.“
Mit mehr als 800 Stromverteilern (DSO) gibt es in Deutschland große Unterschiede bei den lokalen Netzentgelten. So müssen die Verbraucher im Norden mehr für den Strom bezahlen, obwohl sie einen großen Beitrag zur billigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wie Windkraft leisten.
„Dieses Thema hat für uns hohe Priorität“, sagte Müller und versprach einen Vorschlag noch in diesem Jahr.
Die erneuerbaren Energien dürften dabei besonders berücksichtigt werden. „Wir stellen zur Diskussion, dass Netzbetreiber, die ihre Netze insbesondere für Erneuerbare ausbauen, entlastet werden“, erklärte Müller.
Ein neuer Superregulierer?
Die Oppositionsparteien äußerten unterdessen die Befürchtung, dass mit dem neuen Gesetz eine Art Superregulierer mit unverhältnismäßigen Befugnissen geschaffen wird.
„Mit diesem Gesetz macht die Bundesregierung die Bundesnetzagentur zu einer neuen Superbehörde und versäumt es, angemessene ‚checks and balances‘ zu schaffen“, warnte Mark Helfrich im Namen der CDU/CSU-Fraktion.
Die Regierung verhindere sogar „die Einführung eines wissenschaftlichen Beirats, der moderne wissenschaftliche Standards in der Netzregulierung sichergestellt hätte“, so Helfrich und fügte hinzu: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“.
Müller versucht, diese Befürchtungen zu entkräften, indem er betont, man solle die neu gefundene Autonomie der Agentur „nicht überbewerten“. „Sie hat ihre Grenzen“, sagte er. Vor allem die Gerichte würden angesichts der größeren Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde wahrscheinlich sehr viel strenger prüfen.
Quelle : Euractiv