Ehemalige Führungskräfte von Wirecard werden am Donnerstag vor Gericht gestellt, zwei Jahre nach dem Zusammenbruch des Zahlungsunternehmens, das Deutschlands größten Betrugsskandal der Nachkriegszeit produzierte und Schockwellen durch das politische und finanzielle Establishment des Landes schickte.
Der ehemalige österreichische Vorstandsvorsitzende Markus Braun und zwei weitere hochrangige Manager des nicht mehr existierenden Blue-Chip-Unternehmens sehen sich einer Reihe von Anklagen gegenüber, darunter Betrug und Marktmanipulation, und könnten bei einer Verurteilung mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden.
Braun bestreitet Fehlverhalten und wirft anderen vor, ohne sein Wissen eine Schattenoperation zu betreiben.
Die Staatsanwaltschaft sagte, das Management von Wirecard habe riesige Summen an Scheineinnahmen erfunden, um Investoren und Gläubiger hinters Licht zu führen.
Mit einem Urteil des Münchner Gerichts ist frühestens 2024 zu rechnen.
1999 gegründet und im Münchner Vorort Aschheim ansässig, erlebte Wirecard einen märchenhaften Aufstieg und wurde zum Vorzeigeobjekt für ein deutsches Tech-Unternehmen neuen Typs, das es mit den etablierten Titanen der größten Volkswirtschaft Europas aufnehmen konnte.
Wirecard, das mit der Verarbeitung von Zahlungen für Pornografie und Online-Glücksspiele begann, stieg auf 28 Milliarden US-Dollar und verdrängte die Commerzbank (CBKG.DE) im deutschen Blue-Chip-Index DAX.
Reputationsschaden
Wirecard wehrte den Verdacht einiger Investoren und Journalisten auf Fehlverhalten ab und setzte sich erfolgreich bei den deutschen Behörden dafür ein, gegen diejenigen zu ermitteln, die seine Finanzen unter die Lupe nahmen.
Doch im Juni 2020 musste Wirecard zugeben, dass 1,9 Milliarden Euro in seiner Bilanz fehlten.
Die Regierung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zuvor Wirecards Streben nach einer Übernahme in China unterstützt hatte, erwog kurzzeitig eine Rettung des Unternehmens.
Aber innerhalb weniger Tage war Wirecard das erste DAX-Mitglied überhaupt, das Insolvenz anmeldete und den Gläubigern fast 4 Milliarden US-Dollar schuldete.
„Der Wirecard-Skandal hat dem Ansehen unseres Finanzplatzes und unseres Wirtschaftsstandorts international nachhaltig geschadet“, sagte Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz, der früher in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags gegen Wirecard gesessen hatte.
„Politiker, Finanzaufsichtsbehörden, Banken, Wirtschaftsprüfer, Aufsichtsräte – fast alle haben sich mit Wirecard lächerlich gemacht, mit hohen Kosten für Investoren“, sagte er gegenüber Reuters.
„Der Untersuchungsausschuss des Bundestages hat viele Fehler aufgedeckt und Schwachstellen identifiziert, die dringend angegangen werden müssen.
Die Münchner Staatsanwaltschaft und ein Sondereinsatzkommando der Polizei führten Ermittlungen durch, führten 450 Vernehmungen durch, durchsuchten allein in Deutschland mehr als 40 Immobilien und sichteten 42 Terabyte an Daten, was zu einer 474-seitigen Anklage führte.
Behörden in mehr als zwei Dutzend Ländern haben sich beteiligt, von der Schweiz über Singapur, Österreich, die Philippinen, Großbritannien und Russland.
Die Staatsanwaltschaft wird sich auf Beweise von Brauns Mitangeklagten Oliver Bellenhaus stützen, dem ehemaligen Leiter der Wirecard-Tochtergesellschaft in Dubai, der zu einem wichtigen Zeugen wurde, nachdem er sich 2020 den deutschen Behörden gestellt hatte.
Auch ein weiterer ehemaliger Wirecard-Manager, Stephan von Erffa, steht vor Gericht. Er hat öffentlich sein Bedauern über die Ereignisse bei Wirecard zum Ausdruck gebracht, aber bestritten, sie orchestriert zu haben. Sein Anwalt sagte, von Erffa wolle sich zu den Vorwürfen nicht äußern.
In den Unruhen nach dem Abgang von Wirecard trat der Chef der deutschen Finanzaufsicht BaFin zurück und auch der Chef der deutschen Bilanzaufsicht trat zurück.
Merkel und ihr damaliger Finanz- und heutiger Bundeskanzler Olaf Scholz sahen sich der Kritik ausgesetzt, weil sie die Aufsicht über das Unternehmen verpfuscht hatten.
Quelle: Reuters