Das Bild des Klimakanzlers Olaf Scholz hat zuletzt Risse bekommen. Aus Sicht seiner Kritiker tut er zu wenig für den Klimaschutz, bremst eher statt voranzugehen. Aber stimmt das?
Olaf Scholz ist es auf Veranstaltungen gewöhnt, als Hauptredner aufzutreten. Er ist schließlich Bundeskanzler. In einem provisorisch aufgebauten Zelt im Hafen von Ostende ist es anders.
Gleich acht Staats- und Regierungschefs, darunter Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, stehen nebeneinander auf der Bühne, um über die Zukunft der europäischen Energieversorgung zu sprechen. Scholz spricht als fünfter und auf Deutsch. Die Hafenanlage ist Ostende erinnere ihn an seine Zeit als Hamburger Bürgermeister. Kanzler Scholz spricht gerne über den Bürgermeister Scholz, vor allem, wenn es um politische Erfolge aus der damaligen Zeit geht.
Auch dieses Projekt soll ein Erfolg werden. Der Nordsee-Gipfel fand bereits zum zweiten Mal statt. Neun Nationen wollen aus der Nordsee ein gigantisches Kraftwerk machen. Erneuerbare Energie, gewonnen aus Windkraft. 300 Gigawatt bis 2050 – so viel wie 300 Atomkraftwerke an Strom produzieren würden, übersetzt der ebenfalls mitgereiste Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Eindrucksvolle Kulisse
Die Organisatoren haben sich große Mühe gegeben, eine eindrucksvolle Kulisse zu bieten. Ein riesiges rotes Schiff, das normalerweise Kabel in der Nordsee verlegt, wird präsentiert. Ebenso wie hochwertig produzierte Imagevideos, in denen Windkraftanlagen die Hauptrolle spielen. Das ganze unterlegt mit treibender Musik.
Scholz gefällt das, was er hier sieht sichtlich. “Jetzt geht es los”, ruft er den Journalisten und Wirtschaftsvertretern entgegen. In enger Partnerschaft mit Nationen wie Dänemark, Frankreich und Norwegen will er Europas Energieerzeugung nachhaltig umbauen.
Zuhause in Deutschland wird Scholz für seine Klimapolitik häufig kritisiert. Zahlreiche Grüne finden, der selbsternannte Klimakanzler tue zu wenig gegen den Klimawandel. Vor allem seit dem jüngsten Koalitionsgipfel verfestigte sich ihr Eindruck. Aber stimmt dieses Bild?
Es ist kein Geheimnis, dass sich Scholz gerne in Gruppen nach vorne bewegt, ungern allein. “In enger Abstimmung mit den internationalen Partnern”, sagt er dann meistens.
“Das Meer verbindet die Welt”
Auch dieser Nordsee-Gipfel entspricht diesem Muster. Gemeinsam mit mehreren europäischen Ländern soll die die nötige Infrastruktur errichtet und der Strom mittels Leitungen quer durch Europa verteilt werden. “Das Meer verbindet die Welt”, sagt der Bundeskanzler am Ende seiner Ausführungen und ist gedanklich wahrscheinlich wieder am Hamburger Hafen.
Anders als die anderen Staats- und Regierungschefs spricht Scholz in Ostende aber auch über die Dinge, die einen zweifeln lassen. Zweifeln lassen daran, dass das wirklich was wird mit der Nordsee als europäischem Energielieferant Nummer eins.
Wenn Europa und die einzelnen Mitgliedsstaaten die Regeln für den Ausbau nicht änderten, könnten die ambitionierten Ausbauziele nicht erreicht werden, mahnt der deutsche Kanzler. Schnellere Planungen, weniger Hürden – all das sei notwendig.
Die anderen auf der Bühne nicken, auch Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, ebenfalls mit von der Partie. Für den großen Windkraft-Wurf müssen auch europäische Gesetze geändert werden.
Im wesentlichen Absichtserklärungen
Was von so einem Gipfel wie diesem in Ostende bleibt? Im wesentlichen Absichtserklärungen. Eine hochkarätige Arbeitsgruppe soll nun nächste konkrete Schritte planen, um so aus Worten Taten werden zu lassen.
Scholz dürfte in den kommenden Wochen und Monaten häufig über die gefassten Beschlüsse sprechen. Über die große Vision, in der Nordsee im großen Stil Energie aus Windkraft zu gewinnen. Sollte das klappen, wäre in seiner Amtszeit ein energiepolitischer Paradigmenwechsel eingeleitet worden – auch im Sinne des Klimaschutzes.
Source : Tages Schau