Migranten Fühlen Sich Weniger Willkommen, Während Die Extreme Rechte In Deutschland Zunimmt


Am Sonntag wählen die Wähler im ostdeutschen Bundesland Brandenburg ein neues Landtag. Die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) könnte die meisten Stimmen erhalten. Am 1. September gewann die AfD zum ersten Mal eine wichtige deutsche Wahl und belegte im ostdeutschen Bundesland Thüringen den ersten Platz. In Brandenburg liegt die AfD laut Umfragen mit 28 Prozent vorne.

Um die Unterstützung für die AfD zu untergraben, führte die linksgerichtete Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag Kontrollen für Migranten an allen deutschen Grenzen ein. Er will auch die Abschiebungen von Menschen erhöhen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Die oppositionellen Konservativen wollen die Grenzen für Asylbewerber vollständig schließen.

Dieses Land unterscheidet sich grundlegend vom Deutschland Angela Merkels. Vor fast einem Jahrzehnt weigerte sich die damalige Bundeskanzlerin, die Grenzen für Hunderttausende Menschen zu schließen, die vor Krieg und Verfolgung in Syrien und Afghanistan flohen. „Wir schaffen das“, sagte sie in einem berühmten Satz.

In den Jahren 2015 und 2016 nahm Deutschland rund 1,5 Millionen Flüchtlinge und Migranten auf, die meisten davon aus dem Nahen Osten. An Bahnhöfen wurden sie mit Schildern mit der Aufschrift „Willkommen“ begrüßt und von lächelnden Freiwilligen, die Essen und Spielzeug verteilten. Ein neues deutsches Wort wurde erfunden: „Willkommenskultur“, und viele Deutsche waren plötzlich stolz auf die neue Identität des Landes als sicherer Hafen für Flüchtlinge.

Heute werden viele dieser Flüchtlinge selbst Deutsche. Im Jahr 2023 erhielten 200.000 Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft – ein Rekord. Die größte Gruppe kam aus Syrien. Das sind die Neudeutschen.

Die „Generation 2015“ wird von Experten als hoch motiviert beschrieben. Viele hätten im Libanon und in der Türkei bleiben können, drängten sich aber nach Deutschland, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Sie sind im Durchschnitt jünger als die einheimische Bevölkerung – 26 Jahre im Vergleich zum deutschen Durchschnitt von 47 – und statistisch gesehen haben sie auch mehr Arbeit: 84 Prozent der syrischen Männer, die 2015 ankamen, sind erwerbstätig, verglichen mit 81 Prozent der in Deutschland geborenen Männer.

Doch mit dem Aufstieg der AfD und einem immer schärferen Ton gegenüber Migranten in der etablierten Politik ist die „Willkommenskultur“ von 2015 heute kaum noch zu finden.

Es kommen derzeit weniger Flüchtlinge nach Deutschland. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2023 sind die Neuankömmlinge in diesem Jahr um 22 Prozent zurückgegangen. Insgesamt leben jedoch derzeit 3,48 Millionen Flüchtlinge im Land – so viele wie seit den 1950er Jahren nicht mehr. Ein Drittel davon kommt aus der Ukraine.

Einige Kommunen sagen, sie hätten logistische und finanzielle Probleme. Rechte und die AfD meinen, die Zahlen seien zu hoch. Linke machen die Besessenheit des Finanzministeriums, die Bücher auszugleichen, und die Weigerung, neue Schulden aufzunehmen, dafür verantwortlich. Hinzu kommt die enorme Steigerung der Militärausgaben nach der vollständigen Invasion Russlands in der Ukraine, und in Deutschland herrscht Nervosität, dass Geld und Ressourcen knapp sind. Die streitlustige und gespaltene Koalitionsregierung von Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Wählern nicht geholfen, sich in der Führung des Landes sicherer zu fühlen.

Wie also reagieren die Neudeutschen auf diesen Stimmungswandel in Deutschland?

Parvin war eine von denen, die 2015 ankamen. Sie reisten monatelang, größtenteils zu Fuß, von Afghanistan nach Deutschland mit ihrem dreijährigen Sohn und ihrem behinderten Neffen. Grenzbeamte schossen auf sie und sie fürchtete um ihr Leben, als das überfüllte Schlauchboot, in dem sie sich befanden, im Mittelmeer zu sinken begann.

Sie hat gerade die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und im Sommer ihre Ausbildung zur Sozialarbeiterin abgeschlossen. Eine Erfolgsgeschichte für Flüchtlinge, könnte man meinen. Doch sie sagt, die Atmosphäre für Migranten sei seit 2015 schlechter geworden. „Ich fühle mich hier nicht willkommen“, sagt sie mir.

„Der Aufstieg der extremen Rechten und der Hass auf Flüchtlinge sind vor allem auf das schlechte Bild zurückzuführen, das die deutschen Medien über Flüchtlinge vermitteln“, sagt sie. „Wenn ein Flüchtling etwas Schlimmes tut, machen die Medien eine Riesengeschichte daraus. Und dann denken die Leute natürlich, dass alle Flüchtlinge schlecht sind.“

Die jüngste politische Debatte über Migration begann im August nach einer Messerstecherei in Solingen, bei der drei Menschen getötet wurden. Der Verdächtige ist ein syrischer Asylbewerber, den die Behörden abschieben wollten. In der darauffolgenden Woche kam es in ganz Deutschland zu mehreren Messerangriffen, an denen keine Flüchtlinge beteiligt waren – darunter zwei Messerstechereien in Berlin, bei denen Frauen von ihren Ex-Partnern getötet wurden. Diese Fälle machten keine Schlagzeilen.

Die rechtsextreme AfD nutzte die Messerstecherei in Solingen sofort als Teil ihres Wahlkampfs für die Landtagswahlen im September in Thüringen. Zwei Stunden nach dem Angriff postete AfD-Landesvorsitzender Björn Höcke, der von deutschen Gerichten als Faschist eingestuft und wegen der Verwendung eines Nazi-Slogans auf Kundgebungen mit einer Geldstrafe belegt wurde, auf X „Wählt den Wandel am 1.9.“ zusammen mit dem Hashtag Solingen.

In Erfurt, der Hauptstadt Thüringens, treffe ich Sultana, die gerade einen Protest gegen die extreme Rechte organisiert. Sie ist vor zehn Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflohen, als sie zehn Jahre alt war. Jetzt ist sie kurz davor, Jura zu studieren, spricht Deutsch auf Muttersprachenniveau und ist politisch aktiv. Sie spricht oft auf großen Demonstrationen. Aber sie darf nicht wählen. Sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, wartet aber noch auf eine Antwort.

Sultanas Mutter Latifa erzählt mir, dass sie große Angst davor hat, dass die Familie, nachdem sie hier in Deutschland ein neues Leben aufgebaut hat, erneut fliehen muss. Diesmal, um der extremen Rechten zu entkommen.

„Wir haben unglaubliche Angst und wissen, dass wir bedroht werden. Aber man muss verstehen, dass das seit Jahren Realität ist“, sagt Sultana und fügt hinzu, dass das Problem nicht nur die AfD sei, sondern der Rassismus, den sie und viele andere regelmäßig erleben.

„Ich spreche Deutsch, ich träume Deutsch, mein ganzes Leben dreht sich darum, Deutsch zu sein. Ich frage mich, was ich noch tun muss, um als Deutsche anerkannt zu werden“, erzählt sie mir mit Tränen in den Augen.

Für Sultana besteht die Antwort darin, noch stärker politisch aktiv zu werden. „Wir haben keine Wahl. Viele der Migranten haben keine Staatsbürgerschaft und somit kein Wahlrecht. Aber wir haben Stimmen und wir wollen diese Stimmen auf die Straße tragen und sagen: Wir sind hier und wir bleiben hier!“

Andere Neudeutsche denken jedoch darüber nach, ganz wegzugehen. Im August konnte Parvin, nachdem sie ihren deutschen Pass bekommen hatte, endlich zum ersten Mal ihre Schwester in London besuchen. Jetzt, da sie eine qualifizierte Sozialarbeiterin ist, denkt sie sogar darüber nach, nach Großbritannien zu ziehen. Sie erzählt mir, dass sie sich dort willkommener fühlte.

Eine letzte Woche veröffentlichte Studie des Migrationsforschungsinstituts DeZIM ergab, dass fast ein Viertel der Menschen mit Migrationshintergrund, darunter viele deutsche Staatsbürger, angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten eine Auswanderung erwägen. Fast 10 Prozent gaben an, konkrete Pläne zu haben, Deutschland zu verlassen.

Das Paradoxe ist, dass die Regierung verzweifelt versucht, Arbeitskräfte nach Deutschland zu locken. Doch die zunehmend feindselige Rhetorik über Migration könnte nicht nur Menschen abschrecken, sondern auch jene tatkräftigen Neudeutschen vertreiben, die hier bereits ein erfolgreiches Leben führen.

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