Eigentlich wollte Wladimir Putin kein Gas mehr nach Europa liefern, doch niemand hält sich an die Order des Machthabers. Vor allem russische Flüssiggas-Exporteure fahren die Förderung hoch. Das LNG wird in Europa mit offenen Armen empfangen. Es landet auch in Deutschland.
Zwischen Januar und September haben die europäischen Staaten in etwa gleich viel Flüssig-Erdgas, kurz LNG, importiert wie im selben Zeitraum des Vorjahrs. Einige Länder importierten sogar wesentlich mehr. Die Flüssiggas-Importe in Spanien und Belgien stiegen um 50 Prozent, in Frankreich um 40 Prozent. Besonders daran: Die drei Nationen bezogen zwischen 15 und 37 Prozent davon aus Russland.
Deutschland dürfte demnächst ebenfalls in die Runde der Großimporteure aufsteigen. Die Bundesregierung plant, in den kommenden Jahren die nationale LNG-Infrastruktur beträchtlich auszubauen. Für den Import des Rohstoffs werden sogenannte Terminals benötigt. Insgesamt sind bis 2026 elf dieser schwimmenden oder fest an der Küste installierten Terminals vorgesehen. Im Januar 2023 wurde das zweite Terminal eröffnet, es befindet sich nahe Lubmin an der deutschen Ostseeküste. Das erste Terminal nahm im Dezember 2022 in Wilhelmshaven den Betrieb auf.
Über Umwege nach Deutschland
Der russische Krieg in der Ukraine hatte deutlich die deutsche Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen aufgezeigt. Ende August 2022 stellte Russland die Erdgasausfuhren nach Deutschland durch die Nord Stream Pipeline vollständig ein. Kurze Zeit später wurde die Pipeline durch einen Sabotageakt nahezu vollständig zerstört. Ersatz soll jetzt nicht zuletzt das LNG liefern, das Deutschland zum größten Teil direkt aus den USA bezieht. Doch auch russisches LNG gelangt laut dem Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA), einem Thinktank für die Energieversorgung, über das vorhandene innereuropäische Pipeline-Netz aus Belgien und den Niederlanden hierher.
Der Thinktank geht davon aus, dass die LNG-Importe aus Russland weiter zunehmen werden, da Russland wegen der zerstörten Nordstream-Pipelines vermehrt auf den LNG-Export setzt. Gleichzeitig baut Europa seine Infrastruktur weiter aus; die IEEFA-Fachleute schätzen, dass sich die LNG-Importkapazität hier bis 2030 fast verdoppeln wird. Das Flüssig-Erdgas kommt vom zweitgrößten russischen Erdgasförderer POA Novatek, einem privaten, börsennotierten Unternehmen mit Hauptfördergebieten in Westsibirien.
Die ukrainische Umwelt-NGO „Razom We Stand“ kritisiert bereits das Ausmaß des LNG-Ausbaus. Flüssiggas-Terminals würden „als Hintertür genutzt, um russisches Gas nach Europa zu bringen“, sagte deren Gründerin Svitlana Romanko. Bei den neuen Investitionen in LNG-Infrastruktur gehe es nicht um Energiesicherheit, sondern am Ende um „die obszönen Geschäfte der fossilen Industrie, die weiterhin ungestraft bleiben“. Auch Sahra Wagenknecht, ehemalige Spitzenpolitikerin der Linken und jetzt dabei, eine neue Partei zu gründen, hat das Thema russische Gaslieferung auf die Agenda ihrer neuen Bewegung gesetzt. Sie plädiert für die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Russland, was besser sei, als die derzeitige Heimlichtuerei.
Schlechte Klimabilanz bei LNG
Eine Abkehr von Lieferungen in Europa zugunsten anderer Bezugsquellen würde die Gefahr von Preisschwankungen erhöhen, meinen Analysten. Zwar sind die USA nach wie vor der wichtigste LNG-Exporteur Richtung EU. Doch an zweiter Stelle folgt inzwischen nach neuesten Zahlen Russland. Forderungen aus der EU-Energiekommission, kein russisches LNG mehr zu kaufen, verpuffen. Die EU hat bislang keine Sanktionen gegen russisches Gas erlassen. Die EU-Energiesanktionen von 2022 betreffen ausschließlich russisches Öl. Es gibt aber tatsächlich ein umfassendes Embargo gegen Gaslieferungen nach Europa – nur kommt das aus Russland und betrifft Erdgas. Es war 2021 und 2022 Wladimir Putins Entscheidung, Deutschland und viele andere Länder nicht mehr mit Erdgas zu beliefern.
Während also die politischen Folgen der LNG Importe schon heikel sind, dürften auch die Auswirkungen aufs Klima schwer wiegen. Das Märchen vom angeblich so sauberen Flüssigerdgas ist längst demontiert. Erst jüngst hatte ARD-Autor Michael Höft auf einer Recherchereise durch das LNG-Produktionsland USA erschreckende Fakten geliefert: Die Gewinnung von Flüssigerdgas führt zu radioaktiven Abfällen, vergifteten Flüssen und einer massiven Klimabelastung. Mit einer speziellen Kamera wurde der enorme Austritt von Methan bei den Förderanlagen dokumentiert. Jetzt protestieren deswegen auch Wissenschaftler: Es wäre, sagen sie, deutlich weniger klima- und gesundheitsschädlich, wenn man auf Kohle setzen würde, anstatt gefracktes Gas aus den USA zu importieren.
Quelle : focus.de