Deutsche Waffen gegen Ziele in Russland – ein Risiko?


Die Bundesregierung erlaubt der Ukraine den Einsatz deutscher Waffen gegen Ziele in Russland. Damit folgt Deutschland den USA. Befürworter argumentieren mit dem Völkerrecht, Kritiker sehen darin eine Eskalationsgefahr.

Nach langem Zögern eine Kehrtwende: Die Bundesregierung erlaubt der Ukraine den Einsatz deutscher Waffen gegen Ziele in Russland zur Verteidigung der ostukrainischen Region Charkiw. Da Russland in den vergangenen Wochen Angriffe auf die Region aus dem unmittelbar angrenzenden Grenzgebiet vorbereitet, koordiniert und ausgeführt habe, sei man der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht habe, sich gegen diese Angriffe zu wehren, heißt es in einer Mitteilung der Regierung.

Kurz zuvor hatte ein Sprecher der US-Regierung erklärt, dass auch US-amerikanische Waffen für Gegenschläge zur Verteidigung der ostukrainischen Großstadt Charkiw eingesetzt werden dürften. Darüber hinaus bleibt der Einsatz von US-Waffen auf Ziele in Russland aber verboten. Die USA sind der wichtigste Waffenlieferant der Ukraine.

Was darf die Ukraine mit westlichen Waffen tun?

In Vereinbarungen war festgelegt worden, dass deutsche Waffen nur auf ukrainischem Gebiet eingesetzt werden dürfen. Der Raketenwerfer Mars II, die Panzerhaubitze 2000 und das Flugabwehrraketensystem Patriot sind Systeme, die wegen ihrer Reichweite auch Ziele auf russischem Territorium angreifen können. Dies wird nun zur Verteidigung Charkiws ausdrücklich erlaubt. Russland hat in der Region eine dritte Front eröffnet und beschießt die Ukraine von russischem Staatsgebiet aus.

Reichweiten deutscher Waffensysteme: Raketenwerfer Mars II, Radhaubitze RCH 155, Panzerhaubitze 2000, Patriot, Iris-T SLM, Flakpanzer Gepard
Reichweiten deutscher Waffensysteme (dpa / dpa-infografik GmbH)

Mit Patriots könnte die Ukraine theoretisch auch russische Flugzeuge abschießen, die aus dem russischen Luftraum heraus mit Raketen oder Gleitbomben Ziele in der Region um Charkiw angreifen. Wie weitgehend die Auflagen nun aufgehoben sind, blieb zunächst unklar. 

US-Außenminister Antony Blinken sagte, er schließe eine Ausweitung der Erlaubnis für Angriffe auf Ziele in Russland mit US-Waffen nicht aus.

Welche Zustimmung gibt es?

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) begrüßt die Entscheidung des Bundeskanzlers. Er hatte sich bereits zuvor offen dafür gezeigt, die Beschränkungen zu lockern. Auch von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gab es Zustimmung. Er hatte in den vergangenen Tagen Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Biden ausgeübt. Stoltenberg machte erneut deutlich, dass er keine unverantwortlichen Eskalationsrisiken oder sogar Vergeltungsschläge gegen NATO-Staaten befürchtet. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte sich dafür eingesetzt.

Welche Kritik gibt es?

Wie die ehemalige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht (BSW) hatte sich zuvor auch Parteikollegin Sevim Dağdelen gegen die Ausweitung ausgesprochen: Westliche Waffen gegen Ziele auf russischem Territorium einzusetzen, führe die Welt an den Rand eines dritten Weltkriegs, sagte sie.

Ex-Präsident Dmitri Medwedew drohte damit, der Westen solle sich nicht darauf verlassen, dass Russland niemals taktische oder strategische Atomwaffen anwenden würde. Eine Drohung, die er nicht zum ersten Mal ausspricht.

Die Friedensforscherin Nicole Deitelhoff hingegen sieht nach der Entscheidung des Bundeskanzlers keine Eskalationsgefahr. Solche Drohungen habe es in den vergangenen zwei Jahren immer wieder gegeben. Auch hat sie keine völkerrechtlichen Bedenken. Allerdings kritisiert sie, die Entscheidung sei zu spät gefallen. „Sie hätte viel früher fallen müssen, spätestens als man eigentlich beobachtet hat, dass Russland seine Raketenwerfer immer näher an die ukrainische Grenze in der Region Charkiw heranbringt.“ Nun sehe man aber, wie eng es um Charkiw geworden sei.

Patriot Flugabwehrsystem auf einer Ausstellung der Bundeswehr in Wilhelmshaven
Das Flugabwehrsystem Patriot hat eine Reichweite von 68 Kilometern. (IMAGO / Sven Eckelkamp)

Die Erlaubnis, mit westlichen Waffen auf russisches Gebiet zu schießen, sei „enorm wichtig“, so Deitelhoff, weil die Ukraine bisher nur eigene Drohnen dafür genutzt habe, nun aber auf technologisch überlegenes Material aus den USA, Frankreich, Großbritanniens und Deutschland zurückzugreifen könne. Einen „Game Changer“ für den Krieg erwarte sie zwar nicht, aber der Waffeneinsatz könne der Ukraine helfen, die Frontlinie zu stabilisieren. Sie sei zuletzt enorm unter Druck geraten und könne sich nun effektiv wehren.

Quelle: Deutschlandfunk

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