Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch (15. November) die Entscheidung, 60 Milliarden Euro nicht genutzter Schulden aus der Corona-Krise in einen Klimafonds zu stecken, für verfassungswidrig erklärt.
Deutschland steht unter Druck, seine Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einzuhalten, die der öffentlichen Verschuldung des Bundes enge Grenzen setzt.
Finanzminister Christian Lindner (FDP/Renew Europe) ist bereits mehrfach dafür in die Kritik geraten, dass er zur Umgehung der Schuldenbremse Haushaltstricks anwandte. Dabei geht es insbesondere um sogenannte Schattenhaushalte, Sondermittel für bestimmte Zwecke, die nicht offiziell zum Bundeshaushalt gehören.
Diese Vorgehensweise wurde unter anderem im Fall des 100 Milliarden Euro schweren Sonderfonds für Militärausgaben nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und des 200 Milliarden Euro schweren „Abwehrschirms“ während der Energiekrise gewählt, der wohl nur teilweise zum Einsatz kommen wird.
Am Mittwoch erklärt das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2022 für verfassungswidrig, Schulden, die während der Corona-Krise genehmigt wurden, für den „Klima- und Transformationsfonds“ zu verwenden. Dabei handelt es sich um einen weiteren Schattenhaushalt zur Finanzierung grüner Investitionen, etwa der Förderung erneuerbarer Energien und der Elektromobilität.
Das Urteil hat schwerwiegende Folgen, da die Regierung nun gezwungen ist, alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, um die Verpflichtungen in Höhe von 60 Milliarden Euro zu erfüllen, was zusätzliche Steuern oder Ausgabenkürzungen bedeuten könnte.
In einer ersten Reaktion auf das Urteil kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD/S&D) an, dass die Regierung die geplanten Ausgaben im Rahmen des Klima- und Transformationsfonds schnell überarbeiten werde.
„Die Bundesregierung wird dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts genau beachten“, so Scholz. „Wir werden den Richterspruch und seine umfassende Begründung und auch seine Folgen gemeinsam mit dem Deutschen Bundestag genau auswerten“, fügte er hinzu.
Die laufenden Verhandlungen für den Haushalt 2024 seien davon jedoch nicht betroffen und würden wie geplant fortgesetzt werden, so Scholz.
Im Anschluss an Scholz äußerte Lindner, dass die 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, nicht in Anspruch genommen werden.
Weitere Ausgaben aus dem Fonds könnten erst nach dessen Überarbeitung erfolgen, sagte Lindner und fügte hinzu, dass dies für Verpflichtungen aus dem Fonds für die Jahre ab 2024 gelten werde.
Lindner verteidigte auch seine ursprüngliche Entscheidung, die Corona-bezogenen Schulden für den Klimafonds zu verwenden, und sagte, die Regierung habe dies „nach bestem fachlichen Rat für verfassungsrechtlich verantwortbar“ gehalten.
Missbrauch von Mitteln
Während die Schuldenbremse die jährliche Verschuldung strikt begrenzt, ist die Aufnahme zusätzlicher Schulden in außergewöhnlichen Krisensituationen erlaubt. So rechtfertigte die Regierung 2021 eine Gesamtverschuldung von 240 Milliarden Euro, um auf die schlimmsten Auswirkungen der Pandemie zu reagieren.
Als jedoch Anfang 2022 klar wurde, dass 60 Milliarden Euro ungenutzt bleiben würden, da sie nicht mehr für Corona-bezogene Ausgaben benötigt wurden, beschloss der Bundestag, die entsprechenden Kreditermächtigungen in den Klimafonds zu übertragen.
Dies sei jedoch verfassungswidrig, erklärte Doris König, Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, am Mittwoch, da es keinen „Veranlassungszusammenhang“ zwischen der Notlage der Corona-Krise und den geplanten Ausgaben für grüne Investitionen gebe.
Zweitens verstoße die Verwendung von Geld aus genehmigten Schulden aus einem Jahr zur Finanzierung von Ausgaben in den Folgejahren gegen den Grundsatz der jährlichen Haushaltsführung, erklärte sie.
Da der Beschluss erst 2022 gefasst werde, aber den Haushalt 2021 betreffe, verstoße er außerdem gegen den Grundsatz, dass der Haushalt im Voraus festgelegt werden müsse.
Opposition sieht ihre Position bestätigt
Die Opposition der CDU/CSU (EVP), die den Fall vor Gericht gebracht hatte, feierte den Ausgang des Urteils.
Jens Spahn, ehemaliger CDU-Gesundheitsminister und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, schrieb auf X, dass das Vorgehen der regierenden Dreierkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen „offenkundig verfassungswidrig“ sei.
„Dieser eh schon brüchigen Koalition fehlt nun vollends jegliche Grundlage“, fügte er hinzu.
Führende CDU-Politiker, darunter der kürzlich wiedergewählte hessische Ministerpräsident Boris Rhein, hatten in den vergangenen Wochen angesichts schlechter Umfragewerte den Rücktritt der Ampel-Koalition und Neuwahlen gefordert.
Quelle : Euractiv