Lauschangriff? Erlaubt!

Telefonate, E-Mails, Chats – fast alle Überwachungsaktionen des BND wurden bisher offenbar vom neuen Unabhängigen Kontrollrat genehmigt. Das geht aus Recherchen von WDR und NDR hervor.

Das hufeisenförmige Gebäude liegt direkt an der Spree in Alt-Moabit. Über den Fluss ragen zwei mehrstöckige Glastürme. Früher war hier im sogenannten “Spreebogen” das Zuhause des Bundesinnenministeriums. Es gibt hier deshalb noch abhörsichere Räume, in denen geheime Dinge besprochen werden können. Etwas, was auch jenen sehr wichtig ist, die sich jetzt einmieten.

Seit ein paar Wochen steht jetzt fest, dass in die Immobilie in Nähe des Regierungsviertels der Unabhängige Kontrollrat (UK-Rat) einziehen soll. Es ist eine öffentlich kaum bekannte Bundesbehörde, die es erst seit rund einem Jahr gibt – deren Macht aber ziemlich groß ist. 

Anfang 2022 wurde der UK-Rat geschaffen, um die weltweiten Überwachungsmaßnahmen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu kontrollieren. Jetzt hat die neue Kontrollbehörde laut Recherchen von WDR und NDR erstmals einen schriftlichen Bericht zur BND-Überwachung vorgelegt. Die Mitglieder des Parlamentarische Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestages können sich in dem rund 60-seitigen Dokument ein Bild davon machen, wie der UK-Rat die Abhöraktionen des BND im vergangenen Jahr kontrolliert und bewertet hat. Die Kurzfassung lautet: Nahezu jede vom BND beantragte Überwachungsmaßnahme soll erlaubt worden sein.

In dem Papier heißt es offenbar, 121 Überwachungsmaßnahmen seien überprüft worden, darunter zum Beispiel abgehörte Telefonate und Funksprüche oder mitgelesene E-Mails. Dazu sollen aber auch Hacking-Operationen gehören, bei denen der BND in Handychats und andere Onlinekommunikation eindringt.

54 Prozent der Maßnahmen strategische Aufklärung

54 Prozent der BND-Maßnahmen aus dem vergangenen Jahr sollen die strategische Aufklärung betreffen, also das Durchforsten von Datenströmen mit bestimmten Suchbegriffen, die Selektoren genannt werden. Weitere 40 Prozent der Spähaktionen sollen Einzelpersonen betroffen haben, die gezielt überwacht wurden. Die übrigen sechs Prozent sollen “qualifizierte Aufklärungsmaßnahmen” gewesen sein – gemeint sind damit aufwendige Überwachungen, etwa mittels Spähsoftware auf Computern oder Mobiltelefonen.

Auf Anfrage wollte sich der UK-Rat nicht zu seinem Tätigkeitsbericht äußern. Eine Sprecherin erklärte, die Berichte der Behörde seien gemäß Gesetz geheim eingestuft. 

Der UK-Rat war von der Bundesregierung eingerichtet worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass die technischen Aufklärungsmaßnahmen des BND strenger als bislang kontrolliert werden müssten. Deshalb wurde eine sogenannte Vorabkontrolle durch ein gerichtsähnliches Gremium eingeführt.

Die Richterinnen und Richter müssen jetzt vorab genehmigen, wenn der Auslandgeheimdienst eine Telefon- oder E-Mail-Verbindung überwachen oder ein Datenkabel nach bestimmten Suchbegriffen durchsuchen möchte. Das OK des UK-Rates muss eingeholt werden – zu jeder Tages- oder Nachtzeit.

BND offenbar kooperativ

Der BND habe sich jederzeit kooperativ gezeigt, so sollen die Geheimdienstkontrolleure in ihrem Bericht schreiben. Der Auslandsgeheimdienst habe umfangreich Zugang gewährt, und zwar zu Unterlagen, Daten und Technik. Auch die Selektoren ausländischer Partnerdienste, mit denen der BND die weltweite Kommunikation durchsucht, konnten die Kontrolleure offenbar einsehen.

Das ist ein Novum und eine Folge der Spionage-Enthüllungen von Edward Snowden: Früher sollen die Suchbegriffe der US-amerikanischen NSA oder des britischen Abhördienstes GCHQ so verschlüsselt gewesen sein, dass nicht einmal der BND selbst wusste, um welche Handynummer oder E-Mail-Adresse es sich handelte.

Lediglich in einem Fall soll der UK-Rat eine Überwachungsaktion beanstandet haben: Dabei soll es um eine “juristische Person” in Deutschland gegangen sein, also eine Firma, deren Verbindungen ins Ausland aufgeklärt werden sollten. Der BND habe die Telefonanschlüsse und E-Mail-Adressen des Unternehmens überwachen wollen – dies sei allerdings nicht vom BND-Gesetz gedeckt, so offenbar die Sicht der Kontrolleure.

Daher hätten für Maßnahmen einzelne Zielpersonen benannt werden müssen, für die wiederum Überwachungen beantragt werden mussten. Der UK-Rat sah es offenbar als problematisch an, dass die ursprünglich geplante Aktion rechtlich nicht gestattet gewesen wäre – und weist darauf hin, dass dafür das Gesetz verändert werden müsste. 

Jede Abhöraktion schriftlich begründen

Der Geheimdienst muss jede Abhöraktion zuvor schriftlich begründen. Für die BND-Mitarbeiter bedeutet das Rechtsicherheit. Aber eben auch einen erheblichen Mehraufwand. Teilweise seitenlang erörtern sie, warum die Kommunikation auf einem bestimmten Datenkabel durchforstet werden soll oder warum ein ausländischer Terrorist, Waffenhändler oder Politiker von Interesse ist. 

Schon bevor der Rat im Januar 2022 seine Arbeit begonnen hatte, war die Sorge innerhalb des BND groß gewesen: Zu viel Bürokratie könne die Aufklärungsarbeit lähmen. Offenbar fühlen sich manche im Auslandsnachrichtendienst mittlerweile bestätigt. Im BND soll der Frust über die zusätzliche Mehrarbeit bei der Beantragung von Überwachungsaktionen groß sein.

Insbesondere bei der Abteilung der Technischen Aufklärung in Pullach. Die Stimmung im Dienst, der zuletzt eine große Reform und interne Umstrukturierung hinter sich gebracht hat, soll alles andere als gut sein.

Source : Tages Schau

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