EU-Energiekommissarin Kadri Simson sprach sich am Dienstag für die Entwicklung einer Industrieallianz für kleine modulare Atomreaktoren aus. Während manche EU-Staaten jubeln, wird von Deutschland und Österreich Widerstand erwartet.
Anders als bei den erneuerbaren Energien gibt es bei der Kernenergie keinen Konsens zwischen den EU-Mitgliedstaaten, obwohl es sich um eine nahezu CO2-freie Energiequelle handelt.
Diese Zurückhaltung spiegelte sich auch in der Europäischen Kommission wider, die auf die hohen Kosten für neue Atomkraftwerke und die lange Bauzeit hinwies.
Das änderte sich im letzten Jahr, als eine von Frankreich geführte ‚Atomkraftallianz‘, in der sich mehr als ein Dutzend EU-Länder zusammengeschlossen haben, sich aktiv für diese Technologie einzusetzen begann, angetrieben von dem Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden.
Die Bemühungen Frankreichs schienen sich diese Woche auszuzahlen, als Simson sich in Bratislava für die Gründung einer Industrieallianz für kleine modulare Reaktoren (SMR) aussprach.
„Heute kann ich bestätigen, dass die Kommission alle vorbereitenden Arbeiten durchführen wird, um die Industrieallianz in den kommenden Monaten ins Leben zu rufen“, sagte Simson am Dienstag (7. November) in Bratislava und löste damit Begeisterung bei den Befürwortern der Atomkraft aus.
Vor zwei Jahren hatte die Kommission bereits eine „Europäische SMR-Vorpartnerschaft“ gegründet, die Hersteller, Forscher, Regulierungsbehörden und mögliche Kunden des Sektors zusammenbrachte.
Einige Tage vor der Veranstaltung in Bratislava hatten zwölf EU-Energieminister ebenfalls Druck ausgeübt, indem sie in einem gemeinsamen Schreiben an die Europäische Kommission ebendiese „Schaffung einer ‚Industrieallianz‘ für SMR auf EU-Ebene“ forderten.
Dies war auch die Hauptbotschaft des Treffens der Atomkraftallianz, das am Rande des Europäischen Kernenergieforums in dieser Woche auf Initiative der slowakischen und französischen Energieministerinnen Denisa Sakova und Agnès Pannier-Runacher stattfand.
Wende in der Rhetorik
Mit Simsons Befürwortung scheint die Europäische Kommission ihre Rhetorik in Bezug auf die Atomkraft geändert zu haben.
„Letztes Jahr um diese Zeit steckten wir noch mitten in der Energiekrise“, sagte sie. „Ein Jahr später hat sich vieles geändert. Heute hat sich die Diskussion um die Atomkraft – nicht nur in Europa, sondern weltweit – verschoben“, erklärte sie.
Ihrer Ansicht nach wird die Atomkraft heute als Mittel zur Gewährleistung der „Sicherheit der Stromversorgung“ zu stabilen Preisen, zur Erreichung der auf EU-Ebene festgelegten „ehrgeizigen Klima- und Energieziele“ und zur Wahrung der „technologischen Führungsrolle und strategischen Energieautonomie Europas“ betrachtet.
„Aus all diesen Gründen beteiligt sich die Kommission seit 2022 an der Gründung einer europäischen SMR-Partnerschaft“, so die Kommissarin weiter.
In den letzten Jahren hat die Kommission mehrere Industrieallianzen ins Leben gerufen – vor allem in den Bereichen Batterien, Solarenergie und Wasserstoff –, in denen Regierungen, Forscher und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammenarbeiten, um die Entwicklung sauberer Technologien in Europa zu fördern.
Die Arbeit umfasst in der Regel die Schaffung eines günstigen regulatorischen Umfelds für „Made in Europe“-Industrien sowie den Austausch von Kompetenzen und Wissen für die Entwicklung, Wartung und den Bau neuer Infrastrukturen.
Im Bereich der Solartechnik besteht das Ziel beispielsweise darin, „vollständige Wertschöpfungsketten für die Photovoltaik“ in Europa zu schaffen und „unsere Abhängigkeit“ von importierten Solarpaneelen aus China zu verringern, erklärte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton.
In Bratislava betonte Pannier-Runacher, dass bis 2050 rund 300.000 Arbeitsplätze in der Atomkraftindustrie geschaffen werden sollen.
Ende April erklärte Renaud Crassous, Vorsitzender der SMR-Tochtergesellschaft von EDF Nuward, gegenüber Euractiv, dass es notwendig sei, dass „die nationalen Sicherheitsbehörden und Regulierungsbehörden die Gleichwertigkeit bestimmter Vorschriften akzeptieren.“
Mit anderen Worten: Eine Allianz könnte dazu beitragen, die Diskussionen zu diesem Thema zu erleichtern und der EU sogar helfen, im globalen Wettbewerb Fuß zu fassen, insbesondere mit China und den Vereinigten Staaten. Die USA haben Partnerschaften mit Rumänien und Tschechien geschlossen, um dort noch vor 2030 einen ersten SMR aus amerikanischer Produktion in Betrieb zu nehmen.
Überzeugungsarbeit bei von der Leyen
Fraglich bleibt die Unterstützung der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die sich in der Vergangenheit skeptisch gegenüber der Atomkraft geäußert hat und diese nicht als „strategische“ Technologie für die Dekarbonisierung Europas ansieht.
Widerstand ist auch von Mitgliedstaaten zu erwarten, die traditionell gegen die Atomkraft sind, primär von Österreich und Deutschland.
Der liberale EU-Abgeordnete Christophe Grudler, der eine fraktionsübergreifende Gruppe im Europäischen Parlament für Atomkraft leitet, bezeichnete das Projekt jedoch als „machbar“ und äußerte sich am Dienstag optimistisch über die Unterstützung der Kommission.
Pannier-Runacher vertrat die Ansicht, dass die EU die Atomkraft sowohl technisch als auch politisch mit den erneuerbaren Energien gleichstellen müsse.
Sie müsse dies auch finanziell tun, indem sie die Nutzung von Finanzmitteln von EU-Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung erleichtere, argumentierte sie.
„Die europäischen Finanzmittel müssen zwischen Atomkraft und erneuerbaren Energien angeglichen werden“, sagte Pannier-Runacher an der Seite ihrer slowakischen Amtskollegin.
Die Absichten Frankreichs sind klar – nämlich „den Fahrplan für die nächste Europäische Kommission zu erstellen und diese neuen öffentlichen politischen Maßnahmen umzusetzen“ und zu zeigen, dass „Europa dabei ist, seine Atompolitik zu ändern.“
Quelle : Euractiv