Die Esa will mehr Wettbewerb in der europäischen Raumfahrt. Ihr ehemaliger Wissenschaftsdirektor sorgt sich um Mittel für die Grundlagenforschung.
Die europäische Raumfahrtagentur Esa will in Zukunft auf mehr Wettbewerb setzen, um Europa im All voranzubringen. Entsprechende Projekte stellte die Agentur auf dem zweitägigen Weltraumgipfel in Sevilla vor. Dazu gehören die Entwicklung eines europäischen Raumfahrzeuges bis 2028, das Fracht zur Internationalen Raumstation ISS und zurück bringen kann, sowie neue Trägerraketen.
“Wir haben beschlossen, die Art, wie die nächste Trägerrakete definiert wird, vollständig zu ändern”, sagte Esa-Chef Josef Aschbacher gegenüber der Deutschen-Presse-Agentur (dpa). Die Industrie werde Vorschläge machen, die Esa werde Kunde sein, so Aschbacher. Er sprach von einem Paradigmenwechsel, damit Europa in der Raumfahrt nicht abfällt.
“Weltraumaktivitäten zu kommerzialisieren ist eine Priorität”, sagte EU-Industriekommissar Thierry Breton. Der Bereich sei vor allem durch nicht-europäische Mitstreiterinnen und Mitstreiter zunehmend umkämpft. “Wir müssen unseren Ansatz hin zu einer neuen Risikokultur ändern”, unterstützte Breton Aschbacher bei seinem neuen Kurs. Der Esa-Chef wolle künftig dynamischer und schneller mit der Industrie interagieren. Dazu gehört auch die Entwicklung eines neuen Frachtgefährts.
Laut Aschbacher ist dies eine Chance für Europa, kommerziellen Anbietern in Zukunft den Transport von Fracht zu ermöglichen. Das könnte auch dazu führen, dass zukünftig kommerzielle Raumstationen genutzt werden und ein Tausch mit Astronautenflügen zu diesen Stationen entsteht.
Außerdem könnte das europäische Raumfahrzeug, das bis 2028 fertig sein soll, später für die bemannte Raumfahrt weiterentwickelt werden.Ein autonomer Zugang zum All ist ein Thema, welches der Esa am Herzen liegt. Denn bislang kann die europäische Raumfahrtagentur zwar mit europäischen Trägerraketen Satelliten ins All bringen. Doch ein europäisches Raumschiff für bemannte Flüge – das gibt es noch nicht. Lediglich einen europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guyana.
Wettbewerb statt Forschung?
Professor Günther Hasinger, Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik und vormaliger Wissenschaftsdirektor der ESA, bewertet die Ziele gegenüber Forschung & Lehre positiv: “Es ist sehr gut, dass die Esa ihren Zugang zum Weltraum diversifizieren und auf mehr Wettbewerb setzen will. Insbesondere ist die modulare Entwicklung von neuen Raumfahrzeugen und vielleicht auch Trägerraketen zu begrüßen, die flexibel eingesetzt und entsprechend weiterentwickelt werden können. Durch diese Aktivitäten werden vor allem die Kommerzialisierung und später vielleicht der eigene europäische astronautische Zugang zum nahen Weltraum unterstützt.”
Hasinger übt aber auch Kritik. Er weist insbesondere auf die Bedeutung der von der Esa selbst entwickelten Raketen für die Forschung hin: “Aus der Sicht des Weltraumforschers und ehemaligen Wissenschaftsdirektors der Esa muss ich jedoch feststellen, dass ohne die mächtigen Trägerraketen der ESA die weitere Erforschung des Sonnensystems und die Untersuchungen des Universums nur schwer möglich wären. Die Ariane 5 war ein fantastisches Vehikel und hat zuletzt das JWST und JUICE sehr erfolgreich in den Orbit gebracht. Die Ariane 6 ist absolut notwendig, um die nächsten großen Wissenschaftsmissionen der ESA zu starten, insbesondere LISA und ATHENA.”
Raumfahrt soll grüner werden
Klimaschutz und Nachhaltigkeit spielten bei dem Weltraumgipfel im Süden Spaniens auch eine wichtige Rolle. Die Esa möchte versuchen Daten aus dem Weltraum im Kampf gegen den Klimawandel einzusetzen und dabei enger mit der EU zusammenarbeiten. Auch die Raumfahrt selbst soll, so Esa, nachhaltiger werden. Die Raumfahrtagentur will das Entstehen von Weltraummüll in den Umlaufbahnen von Mond und Erde bei kommenden Missionen bis 2030 massiv eindämmen. Zudem rief die Esa alle All-Akteure dazu auf der anlässlich des Gipfel veröffentlichten Charta beizutreten, die zur kompletten Vermeidung von Rückständen im Weltraum führen soll.
Zum Abschluss des Weltraumgipfels präsentierte die Esa die ersten Bilder ihrer neuen Mission “Euclid” zur Erforschung Dunkler Energie und Dunkler Materie. “Noch nie zuvor konnte ein Teleskop solche gestochen scharfen astronomischen Bilder über so einen großen Teil des Himmels aufnehmen und so weit in die Ferne des Universums blicken”, so die Esa. Anfang Juli war die “Euclid”-Sonde ins All gestartet. Ihr Teleskop soll Daten zu Milliarden Galaxien sammeln und dabei helfen, Form, Position und Bewegung von ihnen zu erkennen. Die Esa will damit die letzten zehn Milliarden Jahre des Universums erforschen und hofft herauszufinden, wie die Materie im Weltall verteilt ist und wie sich das Universums im Laufe der Zeit im Kosmos ausgedehnt hat.
Hasinger begrüßte die neuen Beobachtungen, die vorgestellte wurden: “Sehr erfreulich ist es, dass die fantastischen neuen Beobachtungen des Dunkle-Energie-Jägers ‘Euclid’ prominent auf der Ministerratskonferenz präsentiert wurden. Aber ich mache mir schon Sorgen, dass die Grundlagenforschung in der Strategie der Esa so wenig Raum einnimmt. Wir brauchen neben der Wettbewerbsfähigkeit auch die Inspiration in den Köpfen unserer Kinder, um zukunftsfähig zu bleiben.”
Quelle : forschung-und-lehre.de